Am 13. November 2018 fand im Kulturzentrum „Tollhaus“ in Karlsruhe die Tagung „¡Forsche Soziokultur!“ statt, auf der wir unser neues Forschungsdesign präsentierten und mit Expert*innen aus Kultur, Wissenschaft, Politik und Verwaltung diskutieren konnten.
Programm:
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Tagungsbericht:
Forsche Soziokultur
Auf ihrer Tagung Ende letzten Jahres in Karlsruhe stellte die AG Forschen den Zwischenstand und konkrete Perspektiven ihres Langzeitvorhabens Weiterdenken. Soziokultur 2030 vor. Nun geht es darum, die konkreten Forschungspakete umzusetzen.
Für Doppeldeutigkeiten ist die Soziokultur immer gerne zu haben. Mit dem Projekt ¡Forsche Soziokultur! konnte im vergangenen Jahr ein nächster Teilschritt in dem langfristig angelegten Forschungsvorhaben Weiterdenken. Soziokultur 2030 abgeschlossen werden. In dem Kooperationsprojekt der drei Soziokultur-Landesverbände aus Niedersachsen, Thüringen und Baden-Württemberg sowie dem Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (KuPoGe) geht es darum, einen forschen und zugleich forschenden Blick in die Zukunft zu werfen. Die Kernfrage lautet: Vor welchen gesellschaftlichen Herausforderungen stehen die Soziokulturellen Zentren und Initiativen in den kommenden Jahren – und wie können sie diesen begegnen? Ziel ist es, mithilfe von wissenschaftlichen und künstlerischen Forschungsergebnissen die Soziokultur für die Zukunft zu rüsten und Handlungsempfehlungen zu geben.
Bei einem so umfassenden Forschungsvorhaben eröffnet sich ein weites Feld – sowohl was die inhaltlichen und methodischen Aspekte betrifft als auch die der Finanzierung. Deshalb geht die AG Forschen des Kooperationsverbundes schrittweise an die Sache heran. Seit 2014 formulierte sie Forschungsfragen, erstellte ein umfangreiches Konzept und führte zwei Fachveranstaltungen durch. Im Projekt ¡Forsche Soziokultur! nun wurden – federführend durch die KuPoGe – die bisherigen Ergebnisse auswertet und in ein antragsreifes Forschungsdesign für das Gesamtprojekt überführt. Um diese Ergebnisse vorzustellen und weitere relevante Forschungsaspekte zu sammeln, lud die AG Forschen am 13. November 2018 interessierte Kulturakteure aus dem gesamten Bundesgebiet ins Tollhaus nach Karlsruhe ein.
Der experimentelle und künstlerische Charakter der bisherigen Tagungen setzte sich auch diesmal fort. Nachdem die AG zu Beginn die Anwesenden auf den aktuellen Stand des Projektes gebracht hat, stellte Ulrike Blumenreich von der KuPoGe das Forschungsdesign vor. Vier Forschungspakete sollen danach über Primärerhebungen, Sekundärauswertungen, politische Laboratorien oder auch künstlerische Projekte bearbeitet werden: (1) Partizipation in Zeiten der Digitalisierung, Diversifizierung und Transkultur; (2) Förderung der soziokulturellen Arbeit; (3) Soziokulturelle Initiativen als Dritte Orte; (4) Zukunft der Arbeit in Kultureinrichtungen der Freien Trägerschaft. Darüber hinaus stellte sie potentielle Förderprogramme sowie wissenschaftliche und künstlerische Forschungspartner für die einzelnen Pakete vor. Ulrike Blumenreich schloss mit einem vorsichtig-optimistischen Blick in die Zukunft: „Es gibt keine Sicherheit für die Finanzierung der Pakete, aber eine gute Vorarbeit.“
Dritte Orte und Soziokultur
Anschließend standen „Dritte Orte“ und damit das dritte Forschungspaket im Mittelpunkt. Zunächst erläuterte Katja Drews vom Kulturzentrum Weserrenaissance Schloss Bevern in ihrem Vortrag, warum auf das Konzept der Dritten Orte derzeit in kulturpolitischen Diskussionen verstärkt zurückgegriffen wird. Mit der Verknappung des städtischen Sozialraums würden diese beiläufigen informellen und nichtkommerziellen Treffpunkte immer wichtiger, so Drews. Dritte Orte seien home away from home – öffentliche Orte also wo man sich zu Hause fühle. Sie seien „radikal analog“, denn hier stehe die direkte Kommunikation im Mittelpunkt. Ihre abschließende These kam daher nicht ganz unerwartet: Soziokultur biete prädestinierte Voraussetzungen für Dritte Orte. In der anschließenden Diskussion am Bauerntisch wurde diese These bekräftigt. Während Harald Pilzer von der Stadtbibliothek Bielefeld auch Bibliotheken als soziokulturelle Einrichtungen bezeichnete und dafür eintrat, die „Versäulung zu durchbrechen“, warnten andere von einer „Gentrifizierung des Begriffs Soziokulturelles Zentrum“. Für Britta Velhagen vom gastgebenden Tollhaus sind Dritte Orte die „gesellschaftlich verbindenden Räume der Zukunft“, die deshalb auch entsprechend gefördert werden müssten.
Der Nachmittag widmete sich ganz dem Blick in die Zukunft der Soziokultur. Unter der souveränen Moderation von Axel Watzke standen zunächst zehn Schätzfragen auf dem Programm. Die Teilnehmenden hatten die Aufgabe, prozentuale Schätzungen abzugeben und das Ergebnis durch das Stapeln von entsprechend vielen Getränkekästen darzustellen. So wurden etwa bei der Frage, wieviel Prozent der Akteure in den Zentren im Jahr 2030 einen migrantischen Hintergrund haben werden, acht von zehn möglichen Kästen gestapelt, bei der Frage, wieviel Prozent der Arbeitstätigkeiten von hauptamtlich Beschäftigten dann von klugen Computern übernommen werden, hingegen nur drei.
Künstlerische Laboratorien
In den nachfolgenden drei Laboratorien entwickelten die Teilnehmenden mit künstlerischen Methoden Perspektiven zu den Themenfeldern „Partizipation in Zeiten der Digitalisierung, Transkulturalität und Diversität“, „Zukunftsweisende Förderung“ und „Zukunft der Arbeit“. Hier ging es vor allem darum, über ungewöhnliche Herangehensweisen neue Sichtweisen auf „altbekannte“ Inhalte zu bekommen. So entstanden in der ersten Gruppe menschliche Standbilder zum Thema Digitalisierung, die auf analogen Polaroidfotos festgehalten wurden. Die Diskussion ergab, dass es für die Soziokultur in Zukunft darauf ankommen wird, Schnittstellen zwischen den analogen und digitalen Welten zu entwickeln und neue transkulturelle Räume und Berufsbilder in den Zentren zu etablieren.
Im zweiten Laboratorium entstanden Grafiken, die ein ideales Szenario für eine Soziokulturförderung im Jahr 2030 veranschaulichten. Voraussetzungen hierfür müssten nicht nur Akzeptanz, Beratung und Kooperationswille seitens der Politik und Verwaltung sein, sondern auch indirekte Faktoren, wie etwa ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr. Um nicht nur den Status quo zu erhalten, sollten in Zukunft unterschiedliche Förderinstrumente auf die verschiedenen Bedürfnisse flexibel reagieren können. Sehr wichtig hierbei sei eine adäquate Förderung des Personals entsprechend seiner Qualifikation.
Besonders anschaulich gelöst wurde die Aufgabe der dritten Gruppe. Mit Playmobil-Figuren, Zeitschriften und Bastelutensilien sollte ein Arrangement zur Zukunft der Arbeit entwickelt werden. Auf einer Modellfläche setzte die Gruppe mit spielerischer Leichtigkeit die komplexen Bedingungen in einem Soziokulturellen Zentrum im Jahr 2030 in Szene. Ein besonderes Augenmerk legte die Gruppe auf den Generationswechsel sowie die Zukunft des freiwilligen Engagements.
Einen gelungenen Abschluss fand die Tagung mit dem Slam-Poeten Nikita Gorbunov, der einen ironisch-poetischen Blick auf das soziokulturelle Selbstverständnis warf. Für die AG Forschen wird es nun wichtig sein, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen. Bis 2030 ist es schließlich nicht mehr lange hin.
(Thomas Putz, veröffentlicht in SOZIOkultur 1/2019)
Graphic recordings
Die gesamte Tagung wurde von Stefan Kowalczyk grafisch begleitet.
Impressionen